Humor ist Trumpf

Redewendungen sind Formulierungen, die inhaltlich eine andere Bedeutung haben als die Aussage, die sich aus der rein sachlichen Zusammensetzung der Wörter ergibt. Verstehen Sie nur Bahnhof? Gut! Wenn Sie „ich verstehe nur Bahnhof“ nämlich verstanden haben, dann wissen Sie was eine Redewendung ist.

„Der Bart ist ab“ ist ein weiteres Beispiel für eine solche Redewendung. Sie besagt, dass etwas beendet ist, aus und vorbei, abgehakt. Mit Herrn K ist es nun aus und vorbei. Sein Leben ist beendet. Herr K’s Bart ist ab. Das Interessante an der Begegnung mit Herrn K ist, dass wir uns auch ohne Worte bestens verstanden.

Er sprach nicht viel, er hörte lieber zu, aber wenn er etwas sagte – das bemerkte ich sehr bald, dann meistens mit einem Augenzwinkern oder einem Hauch von feiner Ironie. Auf jeden Fall hatte er eine Menge Humor.

Es ist eine empfindliche Angelegenheit, mit bloßen Fingern Schaum im Gesicht eines fremden Mannes zu verteilen und behutsam mit der Klinge die Haare um den Mund herum zu entfernen. Wenn man, wie ich, die Altersgrenze von 40 überschritten hat, dann muss man einem Menschen schon sehr nah kommen, um zu sehen, ob die vollzogene Gesichtspflege der letzten Reise würdig ist. Ich kann es schlecht beschreiben, aber es ist einfach ein Tanz um die Grenzen der Menschenwürde, wenn einer sich so verletzlich macht, weil er auf Hilfe angewiesen ist. Also kicherte ich aufgeregt bei unserem „ersten Mal“ und machte ein paar alberne Witze, um meine Unsicherheit zu überspielen.

„Sie lachen sich gleich noch tot,“ sagte Herr K und ich antwortete spontan: „Na, da bin ich ja hier an der richtigen Stelle.“

„Herr K, Sie müssen mir sagen, wenn meine Witze zu schräg sind,“ aber ich wusste bereits bevor er antwortete, dass er mir nicht böse war.

Einmal kam ich in sein Zimmer, als er sehr offensichtlich gerade Kekse gegessen hatte: Das Bett voller Krümel, der Mund schokoladenverschmiert. Ich liebe Kekse. Ich esse sie gerne und manchmal heimlich, wenn keiner Zeuge meiner großen Schwäche für Süßes sein soll. Dem Blick nach fühlte Herr K sich ertappt. „Kekseessen VOR dem Mittagessen???“ „Ja ja ich weiß, das wird mit dem Leben bezahlt.“ Diskret wischte ich ihm den Mund ab und vergewisserte mich von da an regelmäßig, ob er noch reichlich Vorrat habe.

Ein anderes Mal traf ich ihn traurig an. Ein Tag an dem nicht einmal Kekse halfen. Jedes Wort aus meinem Mund klang zu laut, zu schrill, weil er sich einfach nicht aufmuntern lassen wollte. „Ach Herr K… es ist doch alles nur Show.“ „Ich weiß,“ sagte er zu meiner Entlastung. Dafür schämte ich mich dann auch nicht, als ich im Text nicht weiterwusste, des Liedes, das mir zu seiner Beruhigung sinnvoll erschien. Es wird ihn nicht gestört haben, denn er schlief bald tief und friedlich.

Als es zu Ende ging spielte das alles keine Rolle mehr. Sein Körper war bereits für immer eingeschlafen und ich saß an seinem Bett: „Ich wünschte, Sie könnten mir erzählen, was Sie jetzt sehen! Tschüß, Herr K.“ Ein paar Stunden später war er gegangen und mich erreichte der Anruf aus dem Hospiz, ob ich mich von ihm verabschieden wollte.

Wenn ich beschreiben soll, wie er aussah, fällt mir wieder eine Redewendung ein: „Wer zuletzt lacht, lacht am besten!“ genauso sah er aus, wunderschön! „Humor ist Trumpf,“ so viel ist sicher und auf seine ganz besondere, eigenwillige Art hat er mir meinen letzten Wunsch an ihn erfüllt:

Er hat mir gesagt, dass das was er jetzt sieht, Grund zu übergroßer Freude ist.

 

 

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