Und dann?

Gestern durfte ich dabei sein, wie ein Bewohner ging.

Er war ein wenig unruhig, deshalb setzte ich mich zu ihm. Er atmete schwer. Zwischendurch versuchte er sich hochzuziehen. „Wollen Sie nach oben?“ fragte ich ihn und ahnte nicht was in ihm vorging. Er suchte Halt am Dreiecksgriff. Ich unterstützte ihn vorsichtig dabei, aber das war es nicht. Ich holte Hilfe, sie stellte das Kopfteil des Bettes etwas höher und ging, um nachzusehen, wann er das letzte Mal etwas zur Beruhigung bekommen hatte.

Die Atemzüge wurden ruhiger. Die Abstände dazwischen dauerten länger.

Ich habe einmal erlebt, wie ein Sterbender nach seinen Zigaretten rief, während ich an seinem Bett saß und an eine Tasse Kaffee und eine Zigarette dachte. Seitdem überlege ich mir gut, an was ich in einer solchen Situation denke. Es ist ein innerer Monolog, der auf meine Vorstellung der letzten Reise gründet. Ich sehe viel Licht und offene Arme: „Komm‘, Du bist geliebt!“

„Sie sind geliebt,“ spreche ich ihm leise zu und bin Zeuge, wie sich die körperliche Anspannung löst. Wie das Leben so offensichtlich aus ihm weicht. Die Atmung steht still. Ich nehme noch etwas wie ein Schlucken wahr, dann liegt er völlig regungslos. Was mich am meisten überrascht ist die Träne, die sich in diesem zeitlosen Moment noch aus seinem Augenwinkel löst. Ich streiche ihm sanft über die Wange. Geschafft. Ich bin kein Todesengel, bei Gott, aber ich gönne ihm den Frieden so sehr.

Und dann?

Letztens traf ich Herrn F. beim Laufen um den See. Er erkannte mich nicht einmal, als ich ihn ansprach, so sehr war er in Gedanken versunken an seine verstorbene Frau. Fast sechzig Jahre hatten sie ihr Leben geteilt. Nun ist er allein. Ich frage mich was schwerer ist: Sterben oder Leben müssen.

Ich gehe ins Schwesternzimmer und gebe Bescheid. Im „Caféchen“ sitzt eine Bewohnerin beim Mittagessen. Für sie ist jeder Tag geschenkte Zeit, so wie am Ende der Tod Erlösung ist.

Das Leben geht weiter.

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